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Umsatzsteuerliche Organschaft: Durchatmen beim deutschen Fiskus – das Schreckensszenario drohender Milliardenrückzahlungen ist gebannt

EuGH bestätigt die deutsche Rechtspraxis, einen Organträger als einzigen Steuerpflichtigen eines Organkreises bzw. einer Mehrwertsteuergruppe vorzusehen – gleichzeitig werden neue Zweifel gesät, wie sog. Innenleistungen im Organkreis zu behandeln sind.

Die Generalanwältin Medina hatte mit ihren Schlussanträgen zur Rs. C-141/20 das deutsche Verständnis der umsatzsteuerlichen Organschaft ins Wanken gebracht und wollte eine Mehrwertsteuergruppe als gesonderten Steuerpflichtigen ansehen. Der EuGH hat diese Auffassung in seiner Entscheidung vom 01.12.2022 erfreulicherweise nicht geteilt. Insofern ist die deutsche Organschaftsregelung als unionrechtskonform eingestuft worden jedenfalls im Hinblick auf die gängige Praxis, einen Organträger als einzigen Steuerpflichtigen der Gruppe zu bestimmen. Leider bleibt der EuGH aber vage, was die Behandlung von Leistungen innerhalb der Gruppe angeht – und produziert insoweit neue Rechtsunsicherheiten.

Bisherige Entwicklung

Die deutsche Regelung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft war zuletzt aufgrund der Berücksichtigung von Personengesellschaften als Organgesellschaften auf dem Prüfstand des EuGH. Dem restriktiven Verständnis des V. Senats des BFH hatte der EuGH in den Rs. Larenatia + Minerva (C-108/14 u. C-109/14) und M-GmbH (C-868/19) eine klare Absage erteilt.


Gegenstand der jüngsten Verfahren

Der Kern der Fragestellung zielte darauf ab, ob es zulässig ist, eine Person, die ihren Willen in der Gruppe finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch verbundener Personen durchsetzen kann, als den Steuerpflichtigen für diese Gruppe zu bestimmen – und ob diese Person der Steuerpflichtige für alle Umsätze der Personen dieser Gruppe ist.


Des Weiteren ging es um die Klärung der Frage, ob für die finanzielle Eingliederung zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung eine Mehrheit an den Stimmrechten bestehen muss.


Zu guter Letzt war zu klären, ob es den Mitgliedstaaten zusteht, im Wege der Typisierung eine Person als nicht selbständig anzusehen, wenn sie in der Weise wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers (Organträgers) eingegliedert ist, dass der Organträger seinen Willen bei der Person durchsetzen und dadurch eine abweichende Willensbildung verhindern kann.


Im Verfahren C-269/20 ging es zudem um die Fragestellung, ob entgeltliche Leistungen einer Organgesellschaft an den nicht wirtschaftlichen (hier hoheitlichen) Bereich des Organträgers zu einer Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe führen.


Entscheidungen des EuGH

Im eingangs erwähnten Verfahren (C-141/20) und im Verfahren (C-269/20) wurde klargestellt, dass es mit Unionsrecht vereinbar ist, dasjenige Mitglied einer Gruppe zum Steuerpflichtigen zu bestimmen (Organträger), das in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern der Gruppe (Organgesellschaften) durchzusetzen.


Aus dem Vorlagebeschluss des BFH ging hervor, dass es für das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung einer Willensdurchsetzung durch den Organträger bedarf. Hierfür genügt die Mehrheit an den Stimmrechten, die sich regelmäßig aus der finanziellen Mehrheitsbeteiligung ergibt. Lediglich bei Abweichungen von finanzieller Beteiligung und Stimmrechten sind nur die Stimmrechte entscheidend (vgl. Abschnitt 2.8 Abs. 5 UStAE). Der EuGH hat zwar erklärt, dass ein zusätzliches Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit neben einer Mehrheitsbeteiligung gegen Unionsrecht verstößt, allerdings im Satz zuvor noch festgestellt, dass es von Belang ist, dass der Organträger in der Lage sein muss, seinen Willen durchzusetzen. Wie er dies mit einer Mehrheitsbeteiligung tun soll, die ihm nicht zugleich die Mehrheit der Stimmrechte vermittelt, lässt der EuGH allerdings offen.


Zumindest aus deutschem Blickwinkel wäre zu klären gewesen, ob die in Deutschland praktizierte Rechtsfolge einer umsatzsteuerlichen Organschaft, die Organgesellschaften als unselbständige Betriebsteile des Organträgers anzusehen und dementsprechend Umsätze zwischen diesen Betriebsteilen sowie zwischen den Betriebsteilen und dem Organträger als nicht steuerbare Innenumsätze zu erachten, unionsrechtlich zulässig ist. Der EuGH hat dem Anschein nach die zivilrechtliche Selbständigkeit geprüft – welche Schlüsse hieraus zu ziehen sind, bleibt unklar. Logische Folge der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung getroffenen Aussage, dass es beim Vorliegen der Voraussetzungen der Mehrwertsteuergruppe zu einer „Verschmelzung“ zu einem einzigen Steuerpflichtigen kommt, wäre allerdings, dass es bei einer Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen bleibt.


Bei den entgeltlichen Reinigungsleistungen, die eine Organgesellschaft an den hoheitlichen Bereich des Organträgers erbracht hatte, hat der EuGH das Vorliegen einer unentgeltlichen Wertabgabe verneint. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, in diesem Zusammenhang nicht lediglich die Vorlagefrage zu beantworten, sondern darauf hinzuweisen, dass diese Leistungen auch nicht als entgeltliche Leistungen der Umsatzsteuer unterliegen, da es sich um Innenumsätze handelt.


Die umsatzsteuerliche Organschaft stellt ein Instrument dar, um eine organisationsformneutrale Besteuerung zu gewährleisten. Denn der Grundsatz der Gleichbehandlung gebietet es, eine Unternehmensgruppe, die enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verbindungen aufweist, wie ein Einheitsunternehmen zu behandeln. Die gruppeninterne Wertschöpfung darf nicht mit Umsatzsteuer belastet werden, was ohne Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft jedoch der Fall wäre, sofern Umsätze getätigt werden, die den Vorsteuerabzug ausschließen.

Praxishinweis

Zunächst bleibt alles beim Alten. Die Folgeentscheidungen des BFH sind abzuwarten. Falls Innenleistungen – wider Erwarten – zukünftig der Umsatzsteuer unterliegen sollten, wäre die umsatzsteuerliche Organschaft obsolet. Sie wäre dann ihres (Haupt-)Zwecks, der Vermeidung einer definitiven Steuerbelastung der Innenleistungen, beraubt. Denn eine Verwaltungsvereinfachung stellt die umsatzsteuerliche Organschaft weder für die Finanzverwaltung noch für die Steuerpflichtigen dar. Die zahlreichen Verfahren, die sich wie Perlen an einer Kette aneinanderreihen, zeigen den schon längst überfälligen gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf.

Christian Merkel

Steuerberater

E-Mail:
christian.merkel@falk-co.de


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