Sofortabschreibung‘ für digitale Wirtschaftsgüter – ein Dauerbrenner
Ein Beitrag zum Thema ‚Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht‘
Die sog. Sofortabschreibung für digitale Wirtschaftsgüter hat große Bedeutung für Investitionen im IT-Bereich. Bei der steuerlichen Umsetzung stellen sich im Detail aber verschiedene Zweifelsfragen, die die Finanzverwaltung mit zwei aktuellen Schreiben vom 22.02. bzw. 26.04.2022 zu lösen versucht.
Was bisher geschah
Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie wurde von der damals noch regierenden Großen Koalition die Sofortabschreibung für digitale Wirtschaftsgüter aus dem Hut gezaubert, um die Liquiditätssituation der geplagten Wirtschaft zu verbessern. Leider wählte man nicht den naheliegenden Weg einer Gesetzesänderung, sondern veröffentlichte kurzerhand unter dem Datum 26.02.2021 ein BMF-Schreiben. Da erwartungsgemäß viele Fragen offen blieben und in der Fachliteratur nicht mit Kritik gespart wurde, hat man das Schreiben nach einem Jahr modifiziert bzw. ergänzt - mit bescheidenem Erfolg, denn die steuerlichen Unsicherheiten nahmen eher zu als ab. Mittlerweile gibt es deshalb ein weiteres Schreiben vom 26.04.2022 an verschiedene Berufsverbände, in dem das BMF versucht, geäußerte Bedenken zu zerstreuen.
(Keine) Auswirkungen auf die Handelsbilanz
Nach der Veröffentlichung des ursprünglichen BMF-Schreibens im Februar 2021 hat sich der Fachausschuss Unternehmensberichterstattung (FAUB) des IDW mit den Auswirkungen auf die Handelsbilanz befasst. Den Artikel dazu finden Sie hier. Demnach gilt für die Handelsbilanz weiterhin eine Abschreibung über die voraussichtliche wirtschaftliche Nutzungsdauer, die sich an der betrieblichen Realität ausrichten muss. Die Zugrundelegung einer pauschalen Nutzungsdauer von einem Jahr ist damit handelsrechtlich regelmäßig nicht zulässig.
An dieser Auffassung hält das IDW auch nach der Veröffentlichung des modifizierten BMF-Schreibens vom Februar 2022 fest. Die vorgenommene Fiktion einer Nutzungsdauerverkürzung auf (maximal) ein (Wirtschafts-/Geschäfts-)Jahr kann daher in der Handelsbilanz jedenfalls nicht einfach nachvollzogen werden.
Und wie äußert sich die Finanzverwaltung zur Umsetzung in der Steuerbilanz?
Das modifizierte BMF-Schreiben vom Februar 2022 führt aus, dass die Zugrundelegung einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von genau einem Jahr weder eine besondere Form der Abschreibung noch eine neue Abschreibungsmethode darstellt und auch nicht als Sofortabschreibung angesehen werden könne. Außerdem weist die Verwaltung ausdrücklich darauf hin, dass es sich nicht um ein steuerliches Wahlrecht i. S. d. § 5 Abs. 1 EStG handelt. Nicht zuletzt diese Aussage führte in der Praxis zu einer erheblichen Verunsicherung.
Denn bisher ging man just davon aus, dass die Annahme einer kürzeren Nutzungsdauer als Umsetzung eines steuerlichen Wahlrechts ein Abweichen der Steuer- von der Handelsbilanz erlaubt. Diese Möglichkeit schien das Statement der Finanzverwaltung nun zu verbauen, da ohne Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts im Grundsatz die Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz zu beachten ist – mit der Folge, dass das Thema Sofortabschreibung für bilanzierungspflichtige Unternehmen nicht umsetzbar wäre.
Die Wirtschaft war alarmiert und hatte sich über den Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und die wichtigsten Berufsverbände Ende März erneut an das Finanzministerium gewandt und um Klarstellung gebeten. Die Antwort des BMF an die Verbände liegt nun in Form eines Schreibens vom 26.04.2022 vor. Der Leiter der Steuerabteilung des BMF versucht hierin, sämtliche Bedenken zu zerstreuen. Zunächst wird die ins Spiel gebrachte kurze wirtschaftliche Nutzungsdauer von einem Jahr als „begründete Annahme [dargestellt], die Wirklichkeitstrends aufnimmt“(!). Weiterhin ergeben sich lt. BMF aus dieser Annahme „keine besonderen Auswirkungen auf das Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz. In der Praxis können in der Handelsbilanz andere Nutzungsdauern … zu Grunde gelegt werden als … in der Steuerbilanz“. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz mag zwar im Grundsatz auch für die Bewertung relevant sein. „Nach dem steuerlichen Bewertungsvorbehalt in § 5 Abs. 6 EStG [jedenfalls], der sich auch auf die AfA bezieht, können aber auch Abweichungen zwischen der handelsrechtlichen und steuerlichen Bewertung bestehen.“ Eine explizite Auseinandersetzung mit den (handelsrechtlichen) Aussagen des IDW findet sich in dem Schreiben hingegen nicht.
Mit anderen Worten: Alle Unternehmen können beruhigt sein, die Annahme einer auf ein Jahr verkürzten Nutzungsdauer für digitale Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz ist aus Sicht des BMF unkritisch.
Fazit und Praxishinweis
Zunächst einmal ist es aus unternehmerischer Sicht natürlich erfreulich, dass das BMF mit seinem ‚Verbände‘-Schreiben vom 26.04.2022 Entwarnung gibt im Hinblick auf die äußerst praxisrelevante Sofortabschreibung digitaler Wirtschaftsgüter.
Man sollte sich aber bewusst sein, dass die Finanzgerichte an diese Sichtweise der Verwaltung nicht gebunden sind. Sollte es beispielsweise im Rahmen einer Betriebsprüfung – aus welchen Gründen auch immer – zu Diskussionen mit dem Finanzamt kommen und die Frage der kurzen betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer Streitgegenstand sein, besteht ein erhebliches Risiko, dass die günstige BMF-Auffassung dem Unternehmer im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nicht weiterhelfen wird.

