Umsatzsteuer – der Reemtsma-Anspruch …
… wird endlich von den Finanzbehörden anerkannt, wenn auch mit Hindernissen
Bereits in 2007 hatte der EuGH den sog. Direktanspruch – besser bekannt als Reemtsma-Anspruch – entwickelt. Dieses Vehikel eröffnet einem Leistungsempfänger unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, direkt von seinem Finanzamt die Rückzahlung eines vom Leistenden zu Unrecht in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbetrags zu verlangen. Nach 15 Jahren Bedenkzeit hat nun die Finanzverwaltung mit Schreiben vom 12.04.2022 erstmals den Reemtsma-Anspruch im Grundsatz anerkennt – soweit die gute Nachricht. Aber die „Ausführungsbestimmungen“ trüben die Freude erheblich.
Was ist ein Reemtsma-Anspruch?
Zunächst zur Bezeichnung: Das bahnbrechende Urteil des EuGHs vom 15.03.2007 – C 35/05 betraf die Reemtsma Cigarettenfabriken. Diese hatten ihr Finanzamt verklagt und gefordert, dass es unmittelbar an sie als Leistungsempfängerin die vom leistenden Vertragspartner abgeführte Umsatzsteuer auszahlen möge. Denn es hatte sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Umsatzsteuer, die die Klägerin entsprechend der Rechnung für die bezogenen Leistungen an die Auftraggeberin gezahlt hatte, zu Unrecht fakturiert worden war. Da der daraus resultierende zivilrechtliche Anspruch gegenüber dem leistenden Unternehmen auf Rückzahlung dieser unberechtigten Umsatzsteuer nicht durchgesetzt werden konnte, wendete sich die Klägerin ersatzweise unmittelbar an ihr Finanzamt und begehrte Auszahlung der vom Leistenden abgeführten Umsatzsteuer. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde dieses Ansinnen vom Finanzamt zurückgewiesen: Die Klägerin möge sich doch bitte an ihren Vertragspartner wenden, einen direkten Anspruch gegenüber den Finanzbehörden könne es nicht geben. Die Klägerin ließ aber nicht locker und kämpfte sich bis zum EuGH vor – letztlich mit Erfolg. Der Leistungsempfänger, also Reemtsma, könne seinen (Erstattungs-)Antrag ausnahmsweise unmittelbar an die Finanzbehörden richten, wenn die Erstattung der Mehrwertsteuer durch den Leistungserbringer an den Leistungsempfänger „unmöglich oder übermäßig erschwert werde, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistungserbringers“ – so der EuGH. Seitdem kursieren vergleichbare Konstellationen in Fachkreisen unter dem Pseudonym ‚Reemtsma-Anspruch‘.
Wie gehen die Finanzbehörden damit um?
Mangels offizieller Verwaltungsanweisungen waren die Erfolgsaussichten, den vom EuGH entwickelten Direktanspruch beim eigenen Finanzamt durchzusetzen, eher gering. Allenfalls über den mühsamen Klageweg konnten sich betroffene Unternehmen in Einzelfällen Recht verschaffen. Insofern ist es erfreulich, dass die Finanzbehörden nun endlich offizielle Leitlinien entwickelt und veröffentlicht haben, wann das jeweilige Finanzamt einem Direktanspruch stattzugeben hat.
Wenig überraschend wurden die Hürden von der Finanzverwaltung nach 15 Jahren intensiven Grübelns sehr hoch gesetzt und eine Vielzahl von Kriterien entwickelt, die einzuhalten sind:
- Der Reemtsma-Anspruch ist bei dem für den Antragsteller zuständigen Finanzamt im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens geltend zu machen (also außerhalb des normalen Rechtsbehelfsverfahrens). Insofern ist also mit großem Aufwand nachzuweisen, weshalb im jeweiligen Fall persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe für die begehrte Auszahlung vorliegen.
- Ein eventuelles Mitverschulden des Antragstellers an der Erteilung der Rechnung mit dem unberechtigten Steuerausweis soll sich zu Lasten des Antragstellers auswirken.
- Der Anspruch auf Rückzahlung der falsch ausgewiesenen Umsatzsteuer muss zunächst auf zivilrechtlichem (Rechts-)Weg gegenüber dem Leistenden – ohne Erfolg – geltend gemacht worden sein. Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn ein Insolvenzantrag des Leistenden mangels Masse abgelehnt worden ist. Die bloße Zahlungsunfähigkeit soll hingegen nicht ausreichen.
- Der Reemtsma-Anspruch ist akzessorisch zum zivilrechtlichen Anspruch gegenüber dem Leistenden. Ist der zivilrechtliche Anspruch bereits verjährt, soll auch der Reemtsma-Anspruch entfallen sein. Gleichfalls soll eine Bruttopreisabrede schädlich sein, weil dann kein zivilrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der im Bruttobetrag enthaltenen Umsatzsteuer bestehen soll.
- Sofern der Leistende keine Leistung erbracht hat, aber dennoch eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erstellt hat, soll ein Reemtsma-Anspruch ebenfalls ausscheiden (für die Experten in der Leserschaft: Eine § 14c Abs. 2-Umsatzsteuer steht im Feuer).
- Ebenfalls soll ein Reemtsma-Anspruch ausscheiden, wenn der Fiskus nicht bereichert ist, weil bspw. der Leistende die zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer nicht abgeführt hat oder das Finanzamt die fälschlicherweise in Rechnung gestellte Umsatzsteuer bereits auf Antrag erstattet hat.
Fazit und Praxishinweis
Aufgrund der extrem restriktiven Vorgaben wird es nur wenige Anwendungsfälle geben, die auf Basis des neuen BMF-Schreibens ohne weiteres zum Erfolg führen werden. Realistischerweise werden das nur die angesprochenen Insolvenzfälle sein, die bereits mangels Masse abgelehnt worden sind. In anderen Szenarien wird man sich hingegen zumeist weiterhin auf den beschwerlichen Klageweg begeben müssen. Denn dass die strengen Kriterien des BMF-Schreibens jeweils mit den EU-rechtlichen Vorgaben in Einklang stehen, darf u. E. mit guten Gründen bezweifelt werden.
